Grüne Architektur

Vertikale Gärten als innerstädtisches Ökosystem

Natur trifft auf Architektur

Gebäudebegrünung mit Efeu

Mit dem Klimawandel und der fortschreitenden Verkehrsbelastung kann es in unseren Städten unerträglich heiß werden. Gerade dort, wo keine Bäume und Grünflächen vorhanden sind, entstehen Hitzeinseln. Hängende Gärten im Außenbereich und vertikale Pflanzenwände in Innenräumen können mithelfen, das urbane Ökosystem zu verbessern. Das erreichbare Ziel sollte genau definiert sein. Kosten, Nutzen und Machbarkeit stehen bei der Planung im Vordergrund.

Von Anette Hämmerling

Die Natur in die Stadt zu holen, ist ein weltweit ungebrochener Trend. In den vergangenen Jahrhunderten und besonders in den letzten 30 Jahren sind unsere Städte enorm gewachsen. Dem Dschungel aus Asphalt und Beton müssen Wiesen und Wälder, Parkanlagen und Schrebergärten weichen. Nach Veröffentlichungen des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde habe es in Deutschland im Jahr 2005 mehr als eine Million Kleingärten gegeben. Heute seien es nur noch rund 960.000. Dies dürfte einem Verlust von schätzungsweise 15 Millionen Quadratmeter Gartenfläche entsprechen.

Hier wird Gemüse vertikal gezogen

Eine vertikal angelegte Gemüsefarm im großen Stil.

Vertikale Gärten, begrünte Dächer oder Bodenanpflanzungen?

Um globale Probleme zu lösen, muss vieles zusammenwirken. Grüne Fassaden und Pflanzenwände in Innenräumen können dazu einen Beitrag leisten. „Um dem hohen Flächenverbrauch und der Abnahme an Grünflächen in den Städten entgegenzuwirken, ist die Politik gefragt“, erklärt Dr. Ute Arnold, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) an der Universität in Bonn. Nach ihrer Ansicht sei ein Naturschutzausgleich sinnvoll und wichtig. Für die Verdrängung von urbanen Grünflächen müssten Bauherren neue Anpflanzungen schaffen oder Abgaben leisten, mit denen die Städte neue ökologisch wertvolle Vegetationsoasen realisieren könnten. Baden-Württemberg nehme dabei eine Vorreiterposition ein. Der Vorschlag zur Begrünungsverpflichtung in der Landesbauordnung aus dem Jahr 2014, die im Volksmund als „Zwangsefeu“ bezeichnet werde, drohe jedoch zu kippen.

„Wir haben drei Möglichkeiten unsere Städte zu begrünen: auf Bodenflächen, Dächern und an Fassaden“, ergänzt Arnold, für die jeweils eine Vielzahl an Pflanzenarten und Systemen in Frage kommen. In ihrer Wirkung unterschieden sie sich. Welche Begrünungsart bevorzugt werde, hänge vom anvisierten Ziel ab, welches Städteplaner, Unternehmer oder privaten Bauherren verfolgten und den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten. Vertikale, fassadengebundene Begrünung sei am kostenintensivsten. „Für einen Quadratmeter wandgebundene Begrünung muss man durchaus zwischen 500 und 1.000 Euro für das System und die Pflanzen rechnen“, so Arnold. Kosten für Wartung und Pflege seien darin nicht eingeschlossen. Traditionelle bodengebundene Fassadenbegrünung mit Selbstklimmern oder mit Gerüstkletterpflanzen ist deutlich günstiger. Sie ist schon ab 20 bis 40 Euro pro Quadratmeter zu haben.

Gebäudebegrünung dank Selbstklimmer Efeu

Ein mit Efeu bewachsenes Haus. Die Pflanzen stehen mit ihren Wurzeln im Erdreich und klettern an der Fassade hoch.

Gerade private Bauherren verzichten auf Wartungsverträge, um Folgekosten zu sparen. Das kann zu bösen Überraschungen führen, wenn Bewässerungsanlagen und Steuerungssysteme ausfallen und Gewächse verdorren. „Begrünte Bodenflächen sind am einfachsten und meist am effektivsten, aber begrenzt, bepflanzte Dächer in Anschaffung und Pflege billiger als vertikale Lösungen“, ergänzt Arnold.

Ökologische und soziologische Vorteile begrünter Fassaden

Doch dort wo kaum noch freie Böden vorhanden sind und alte Bausubstanzen Dachbegrünungen nicht möglich machen, sind die sogenannten Living walls im Außenbereich eine Alternative im Betondschungel der Städte. Begrünte Außenfassaden können das innerstädtische Klima verbessern:

Regenwassernutzung und Regenwasserrückhalt
Zu den wichtigsten Effekten in der Fassadenbegrünung der Städte zählen die Weiterverwendung von Regenwasser und der Regenwasserrückhalt. „Wir haben zunehmend Starkregenereignisse“, bestätigt Arnold. Wegen den vielen versiegelten Flächen in den Innenstädten, begradigten Flüssen und heftigeren Regenfällen, bestehe zunehmend Hochwassergefahr. „Dies haben insbesondere die Versicherer nachgewiesen“, so Arnold weiter. Aus diesem Grund müssen in den Städten vermehrt Wasserspeicher und Auffangbecken geschaffen werden. Aber das ist kostenintensiv. Mehr Grünflächen, die Wasser im Boden speichern, und über die Pflanzen wieder an die Atmosphäre abgegeben, dämpfen die Hochwasserwellen. Mit überschüssigem Regenwasser können vertikale Grünflächen und Dachbepflanzungen bewässert werden.
Klimaverbesserung durch Kühlung und Isolation
Vertikale Grünflächen funktionieren im Sommer wie ein natürliches Kühlsystem und
im Winter bieten sie Schutz vor Kälte. Diese Effekte würden beispielsweise helfen,
Kosten für die Klimatisierung und Beheizung von Gebäuden einzusparen. Wände aus Stein und Beton heizen sich an heißen Tagen enorm auf. In der Nacht geben sie die Wärme wieder ab. Aus diesem Grund sinken nachts in den Städten die Temperaturen weniger stark als auf dem Land. Fassadenbegrünung verhindert diesen Effekt, da die Pflanzen das Sonnenlicht reflektieren und die dahinterliegende Wand nicht so stark aufheizt.
Sauerstofflieferant und Schadstofffilter
Pflanzen nehmen Kohlendioxid auf und wandeln es in Sauerstoff um. Sie filtern Giftstoffe aus der Luft und binden Feinstaub, was angesichts eines hohen Verkehrsaufkommens das innerstädtische Klima verbessert.
Schattenspender
Mobile Pflanzenwände erzeugen Schatten und zwar dort, wo er gerade gebraucht wird. Beispielsweise an Bushaltestellen, Marktplätzen, Vorplätzen von öffentlichen Gebäuden.
Lärmschutz/Schalldämmung
Der städtische Geräuschpegel kann durch Pflanzenwände gesenkt werden. Doch nach Aussage von Arnold könne man diesen Punkt eher vernachlässigen. Die Schalldämmung durch Pflanzen sei vergleichsweise gering.
Artenvielfalt bewahren – Biodiversität
Die Außendämmung von Gebäuden hat eine Vielzahl kleiner Nischen für Tiere vernichtet. Grüne Fassaden wären eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken. Vögel fänden mehr Schutzräume in der Stadt. Eine üppigere und artenreichere Vegetation bringt auch mehr Insektenarten zurück in die City.
Das Wohlbefinden steigern
Die Menschen sehnen sich wieder nach mehr Grün. Inzwischen gibt es ein wachsendes Bewusstsein dafür, wie wichtig die Vegetation für eine Stadt ist. Ein Vorzeigebeispiel ist Andernach, die essbare Stadt. Seit Jahren wandelt die Stadtverwaltung gemeinsam mit Experten und freiwilligen Helfern vorhandene Grünflächen im Stadtkern in Nutzgärten um. Das Beste daran: Betreten und ernten ist erlaubt. Andernachs Bewohner sind glücklich und Touristen strömen aus Neugierde und Bewunderung für das Projekt in die Stadt am Rhein.
Auch im Innenbereich ist die raumpsychologische Wirkung einer Pflanzenwand nicht zu unterschätzen. Sie ist nicht nur dekorativ, sondern steigert das Wohlbefinden. Mit einem Ausblick ins Grüne steigt die Wohnzufriedenheit, das Stressniveau sinkt.

Auch mit kleineren Lösungen von vertikalen Gärten für den Innenraum können positive Effekte erzielt werden:

  • Sie regulieren den Feuchtigkeitsgehalt der Luft,
  • absorbieren Gerüche,
  • dämpfen den Schall,
  • binden Schadstoffe,
  • sind ein ästhetischer Blickfang,
  • erhöhen das Wohlbefinden,
  • benötigen wenig bis gar keine Stellfläche.

Unterschiedliche Begrünungssysteme im Einsatz

Bei der Gestaltung grüner Außenfassaden kommen unterschiedliche Bepflanzungssysteme zum Einsatz. Die Gewächse werden in mit Erde oder Substrat gefüllten Pflanzrinnen gesetzt, die an speziellen Vorrichtungen übereinandergestapelt sind. Ein Beispiel dafür ist das Wiener Magistratsgebäude 48 am Margaretengürtel im 5. Bezirk oder das Null-Energie-Hotel (Boutique-Hotel Stadthalle) in Wien.

Von Patrick Blanc angelegter Wandgarten in Paris

Wandgarten von Patrick Blanc am Musée du quai Branly in Paris.

Einen anderen Lösungsansatz verfolgt der renommierte Pariser Botaniker und Gartenkünstler, Dr. Patrick Blanc, mit seinem Patent. Er kommt ganz ohne Erde oder Substrat aus. Gepflanzt wird auf einem zweilagigen Filtervlies aus recycelten Acrylfasern aus Altkleidern. Darauf werden die Gewächse in Pflanztaschen gesteckt und festgetackert. Mit der Zeit schließen die Pflanzen die Lücken von selbst, so dass das Acrylvlies nicht mehr sichtbar ist. Zur Befestigung an der Hauswand dient ein verschraubtes Leichtmetallgerüst, an dem Hartfaserplatten montiert sind.

Ähnliche Systeme von anderen Herstellern sind weltweit im Einsatz, oftmals mit einem höheren Gewicht. Da die Pflanzsysteme bis in schwindelnde Höhen verbaut werden, spielt das Gewicht der Installation eine zentrale Rolle. Genauso wichtig sind integrierte Bewässerungs- und Steuerungssysteme, mit denen die Feuchtigkeit und die Nahrungszufuhr der Pflanzen geregelt werden.

Blanc hat seine „Mur Végétal“ (deutsch: Pflanzenmauer), wie er sie selbst nennt, weltweit aufgebaut. In Deutschland hat der exzentrische Franzose beispielsweise bei Dussmann in Berlin eine imposante Innenwand, die über vier Etagen geht, mit eigenem Ökosystem geschaffen, die Außenfassade des Berliner Kaufhauses Galeries Lafayette begrünt und das Pressecenter der Messe Frankfurt in eine grüne Wohlfühloase verwandelt. Hierzulande gehört die Optigrün International AG in Krauchenwies-Göggingen zu den Marktführern von Flächenbegrünungen.

Beispiele Vertikaler Ökosysteme weltweit

Lösungen, die schon sehenswerte Anwendung gefunden haben, reichen von kleinen Greenwalls bis zu gigantischen Ökologieprojekten mit Realisierungskosten im Milliardenbereich.

Im kolumbianischen Medellin im Stadtviertel El Pablo ist eine 92 Meter hohe „lebende Wand“ an einem Wohnhaus entstanden. Der vertikale Garten gehört zu den höchsten seiner Art und beeindruckt nicht nur durch sein Design. Die Grünpflanzen an der Hauswand isolieren, filtern die Luft und dämmen den Schall. Realisiert wurde sie von dem Unternehmen „Paisajismo Urbano“, (deutsch: urbaner Landschaftsbau) aus dem spanischen Alicante. Gemeinsam mit dem kolumbianischen Unternehmen „Groncol“ haben sie einen der höchsten vertikalen Gärten der Welt errichtet. Hunderte von speziell ausgesuchten einheimischen Pflanzen, die sich leichter an die vorhandenen Bedingungen anpassen können, wurden hierfür eingesetzt. Expertenwissen in vielen Disziplinen ist notwendig, damit solch ein Wolkengarten überhaupt gelingen kann.

Die richtigen Pflanzenarten sind entscheidend

Die für normale Gärten unerlässliche Erde spielt beim vertikalen Garten keine Rolle. Stattdessen werden Pflanzen ausgewählt, die nicht tief im Grund wurzeln müssen. Dazu gehören etwa Moose, Orchideen und Farne sowie sogenannte Aufsitzerpflanzen, wie Bromeliengewächse, die auf anderen Pflanzen wachsen und sich gegenseitig stützen. Moose und Flechten gelten als genügsame Pflanzen, die fast überall wachsen. Das stimmt so nicht. Gerade Moose und Flechten sind sehr empfindliche Pflänzchen bei Luftverschmutzung.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Unternehmen, die sich auf Vertical Gardening spezialisiert haben. Dazu zählen die Art Aqua GmbH & Co. KG in Bietigheim-Bissingen, die Hydroplant AG in Zürich, die Creaplant AG in Zürich, die Green City Solutions GmbH in Berlin oder Greenworks. Die Produkte, die sie anbieten heißen beispielsweise Citytree, Living walls, Wonderwall oder Moving Hedge.

Bewässerung ist das größte Problem

Die Bewässerung stellt Betreiber von vertikalen Gärten vor große Herausforderungen. Eine vertikale Wand kann man in Innenräumen nicht einfach gießen oder mit einem Gartenschlauch besprenkeln. Außenfassaden sind oftmals so hoch gebaut, dass sie mit dem Wasserschlauch nicht erreichbar sind. Außerdem muss auch die Ernährung der Pflanzen über die Wasserzufuhr geregelt werden. Somit sollte eine grüne Fassade entweder über ein eigenes Wasserbecken verfügen, das unter der Wand montiert oder unsichtbar im Boden versenkt ist, oder es bedarf eines Wasseranschlusses, der die Substratplatten kontinuierlich mit Frischwasser versorgt. Wer Indoor-Landscaping oder eine grüne Wand in seinem Haus oder seinen Geschäftsräumen plant, sollte sich unbedingt über die Bewässerungsmöglichkeiten und Kosten informieren.

Das vertikal begrünte Hochhaus Bosco Verticale in Mailand

Das begrünte Hochhaus Bosco Verticale in Mailand.

Modell für die Innenstadt der Zukunft

Mittlerweile haben Architekten weltweit die Fassadenbegrünung als ein spektakuläres Gestaltungselement entdeckt. Beispiele gibt es viele. Bosco Verticale (deutsch: senkrechter Wald) werden die bepflanzten Zwillingstürme eines Hochhauskomplexes in Mailand genannt. Die beiden Hochhäuser mit einer Höhe von 80 und 110 Metern, werden als Wohnhäuser genutzt. Bauherr ist Manfredi Catella. Geplant wurden die beiden Hochhäuser von dem italienischen Architekten Stefano Boeri und seinen Partnern Gianandrea Barreca und Giovanni La Varra vom Architekturbüro Boeri Studio.

Das Besondere an ihnen sind hunderte von vorgesetzten Balkonen, auf denen tausende Bäume und Sträucher wachsen. Dieser vertikale Wald mitten in der Stadt hebt sich positiv vom tristen Grau herkömmlicher Hochfassaden ab. Für Boeri ist das kostspielige Projekt ein Modell für die Innenstadt der Zukunft. Wegen der hohen Kosten sind die Außenfassaden noch nicht mit hängenden Gärten begrünt.

Die blinden Wände von São Paulo

Über die auf Stelzen errichtete Stadtautobahn Minhocão (großer Wurm) mit einer Länge von 3,5 Kilometern durchqueren bis zu 80.000 Autos täglich die Millionenstadt São Paulo. In dieser Betonwüste baut das sozial ausgerichtete, brasilianische Kollektiv Movimento 90 vertikale Parks. Sein wichtigstes Anliegen ist, den begangenen Bausünden früherer Stadtplaner entgegenzuwirken. Im März dieses Jahres hat das „smartmagazin“, eine Online-Publikation der Daimler AG in Stuttgart, ausführlich darüber berichtet.

Im vergangenen Jahrhundert galt bis ins Jahr 1992 in São Paulo eine Bauverordnung, nach der alle nach Süden ausgerichteten Wände in der Millionenmetropole kein Fenster haben durften. Man ging davon aus, dass der Südwind gesundheitsgefährdende Erreger transportiere. So sind tausende der sogenannten blinden Wände entstanden.
Bis heute sind sieben vertikale Gärten mit einer Fläche von 4.000 Quadratmetern entlang der Stadtautobahn installiert worden und es sollen noch mehr werden. Dabei kommen nur einheimische Pflanzen zum Einsatz. Diese Wolkengärten senken die Gebäudeinnentemperatur. In Trockenzeiten erhöhen sie die relative Luftfeuchtigkeit, verringern die Luftverschmutzung, schlucken Schall und steigern die Artenvielfalt in der Stadt. Die grünen Fassaden werden mit einer Bewässerungsanlage versorgt, die mit einem Wassertank und einem durchlaufenden Tropfsystem funktioniert. Dabei wird Regenwasser aufgefangen. Finanziert werden diese kunstvollen Fassadenbegrünungen von Unternehmen, die einst begangene Umweltsünden ausgleichen wollen. All diese architektonischen Lösungen machen Städte für den Menschen attraktiver und lebenswerter.